Neues vom Rechtschreibrat

Am 15. Dezember 2023 ist der Rat für deutsche Rechtschreibung zu einer Sitzung in Mainz zusammengekommen, um über aktuelle Entwicklungen zu beraten. Als maßgebende Instanz hat der Rechtschreibrat, wie er häufig kurz genannt wird, die Aufgabe, die Einheitlichkeit der Orthographie der deutschen Sprache sicherzustellen. Nicht nur Deutschland, Österreich, die Schweiz und Liechtenstein sind im Rat vertreten, sondern auch Luxemburg, die zu Italien gehörige Provinz Bozen-Südtirol und die Deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens, also insgesamt sieben Länder und Regionen. 

Auf der Mitgliederliste dieses internationalen Gremiums finden sich Personen aus dem akademischen und schulischen Sektor, dem Verlags- und Medienwesen sowie weiteren Bereichen.

Der Rechtschreibrat gibt das amtliche Regelwerk heraus, zu dem auch ein Wörterverzeichnis mit mehreren Tausend Einträgen gehört; sowohl die Regeln als auch das Wörterverzeichnis werden regelmäßig aktualisiert. Der aktuelle Stand stammt aus den Jahren 2017 und 2018 und ist über die Website des Rates (www.rechtschreibrat.com) zu erreichen.

Reizthema Gendern erneut auf dem Verhandlungstisch

Auf der Sitzung vom Dezember 2023 ging es neben der Aktualisierung des Regelwerks zum wiederholten Male um die Entwicklung auf dem Gebiet des Genderns, die im Rechtschreibrat fortlaufend beobachtet wird. Auf seiner vorangegangenen Sitzung im Juli 2023 hatte der Rat beschlossen, die amtlichen Regeln um einen „Ergänzungspassus“ zum Thema Sonderzeichen zu erweitern. Hierin wurde unter anderem die Beobachtung festgehalten, dass Zeichen wie der Doppelpunkt, der Asterisk (*) oder der Unterstrich (_) zunehmend verwendet werden, um alle Geschlechtsidentitäten zu kennzeichnen. Es wurde vom Rat allerdings festgelegt, dass diese sogenannten Wortbinnenzeichen nicht zum Kernbestand der deutschen Orthographie gehören. Es wurde zudem darauf hingewiesen, dass diese Binnenzeichen Auswirkungen auf die Rechtschreibung haben und zu grammatischen Problemen führen können, etwa wenn Artikel oder Pronomen mehrfach genannt werden („der*die Präsident*in“). Angesichts dessen sind die Gender-Sonderzeichen weiterhin nicht amtlich geregelt.

Auf seiner Sitzung im Dezember hat der Rat nun seinen Standpunkt bekräftigt und mit einigen Erläuterungen untermauert. Er ist zwar der Meinung, dass Menschen mit geschlechtergerechter Sprache begegnet werden soll, stellt an solche Texte aber hohe Anforderungen: Sie sollen sachlich korrekt sein, verständlich und lesbar; die Konzentration auf die wesentlichen Sachverhalte soll sichergestellt sein. Zudem sollen in der öffentlichen Verwaltung Rechtssicherheit und Eindeutigkeit gewährleistet sein.

Gerechtigkeit für alle?

Aus der Pressemitteilung vom Dezember 2023 geht insbesondere hervor, dass der Rechtschreibrat die Belange verschiedener Personengruppen in den Fokus stellt, denen der Zugang zu geschriebenen Texten ermöglicht werden soll. Geschlechtergerechte Texte sollen nicht nur lesbar, sondern auch vorlesbar sein, da insbesondere blinde und sehbehinderte Menschen auf gesprochene Texte zurückgreifen und die Medien eine Vorlesefunktion zur Verfügung stellen. Mit einer weiteren Anforderung, nämlich dass das Erlernen der geschriebenen deutschen Sprache nicht erschwert werden soll, rückt der Rat implizit die Interessen all jener in den Mittelpunkt, die die deutsche Sprache erlernen wollen oder müssen, also Schulkinder, aber auch Zuwanderer. In diesem Zusammenhang weist der Rat auf die bereits jetzt bestehenden, durch Studien belegten Schwierigkeiten beim Erlernen des Schriftdeutschen hin.

Übertragbarkeit in andere Sprachen

Schließlich fordert der Rat, dass geschlechtergerechte Texte möglichst automatisiert in andere Sprachen übertragbar sein sollen – in der Schweiz, Südtirol und Ostbelgien ist Deutsch nicht die alleinige Amtssprache, und auch in Deutschland und Österreich existieren in einigen Regionen weitere Amts- und Minderheitensprachen. Auf die Umsetzung des Genderns in diesen anderen Sprachen geht der Rechtschreibrat nicht ein, es kann jedoch vermutet werden, dass der unterschiedliche Umgang mit dem Gendern in den einzelnen Sprachen Schwierigkeiten mit sich bringt. Für das Französische, Italienische und Flämische etwa wurden zwar unterschiedliche Methoden zum Gendern entwickelt, diese konnten sich bislang aber noch weniger durchsetzen als im Deutschen. Ähnliche Hürden dürften sich bei der Übertragung etwa ins Sorbische oder Slowenische ergeben.

Verantwortung der Schule hervorgehoben

Der Rechtschreibrat vertritt zudem die Ansicht, dass sich die Aufgabe, allen Menschen mit einer geschlechtergerechten Sprache zu begegnen, nicht mit einer Änderung der Rechtschreibung lösen lasse. Vielmehr weist der Rat in seiner Pressemitteilung vom Dezember 2023 ausdrücklich darauf hin, dass für Schulen und die öffentliche Verwaltung das amtliche Regelwerk gilt, und nimmt insbesondere das Schulwesen in die Pflicht: In den Schulen gehe es um die Vermittlung orthographischer Normen, und insbesondere in den jüngeren Jahrgangsstufen habe die Systematik der Rechtschreibung den Schwerpunkt des Unterrichts zu bilden, sodass eine sichere Rechtschreibkompetenz erworben werden kann. In den höheren Schulstufen könnten die Sonderzeichen im Wortinnern jedoch thematisiert werden. Ob und wie sie bewertet werden sollen, überlässt der Rat jedoch der Schulpolitik.

 

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Andere Regeln für die Universitäten?

Ob an den Hochschulen von den amtlichen Rechtschreibregeln abgewichen werden darf (gerade an den Universitäten nimmt der Gebrauch der Gender-Sonderzeichen zu, manchen Berichten zufolge wird die Verwendung von Genderzeichen explizit verlangt oder von den Studenten unabhängig vom Geschlecht prophylaktisch umgesetzt, um Punktabzüge zu vermeiden), ist nach Ansicht des Rechtschreibrats strittig.

Allerdings verweist der Rat auf die Verantwortung, die die Hochschulen für die Bildung und Ausbildung von Lehrkräften tragen – da an den öffentlichen Schulen die Rechtschreibung nach den amtlichen, von den zuständigen staatlichen Stellen beschlossenen Regeln zu unterrichten ist.

Weitere Abkehr von der 1996er-Reform?

Abseits des großen Gender-Themas hat der Rat auf seiner Dezember-Sitzung außerdem eine vollständige Neubearbeitung des amtlichen Wörterverzeichnisses mit Anpassungen des amtlichen Regelwerks beschlossen. Zum jetzigen Zeitpunkt sind diese Aktualisierungen auf der Website des Rechtschreibrats noch nicht veröffentlicht, sodass man sich bislang nur anhand der in der Pressemitteilung genannten Beispiele ein Bild machen kann. Unter anderem scheinen folgende Änderungen vorgesehen zu sein:

  • Zusammensetzungen aus nicht + Adjektiv können künftig auf dreierlei Art geschrieben werden: nichtöffentlich, nicht-öffentlich, nicht öffentlich. Die Variante mit Bindestrich war bislang nicht explizit genannt, jedoch auf Grundlage der Rechtschreibregeln nicht zwangsläufig als falsch anzusehen.
  • regenerative Energien dürfen künftig auch mit großem R, also Regenerative Energien, geschrieben werden; Fakenews Fake News als dritte Variante auch mit Bindestrich, also Fake-News.
  • Partizipien zu Verben wie faken dürfen in einer Weise geschrieben werden, wie sie dem englischen Partizip nahekommt: Das bisher allein gültige gefakt bleibt weiterhin erlaubt und in attributivem Gebrauch sogar weiterhin allein korrekt (gefakte Nachrichten).
  • Verschiedene Eindeutschungen, darunter einige aus den Zeiten der Rechtschreibreform von 1996, werden aus dem amtlichen Verzeichnis gestrichen, darunter „Jogurt“, „Panter“, „Spagetti“ oder „Tunfisch“.

Keine Spagetti mehr?

Ob die Streichung von Jogurt oder Spagetti bedeutet, dass diese Schreibweisen demnächst als falsch anzusehen sind, bleibt abzuwarten; eine solche Entwicklung käme einer weiteren Abkehr von der Reform von 1996 gleich, zumal diese Eindeutschungen von damaligen Reformbefürwortern gern als positive Beispiele genannt wurden. Insgesamt kann noch nicht mit Sicherheit gesagt werden, wie die in der Pressemitteilung genannten Beispiele zu interpretieren sind; erst mit der Veröffentlichung der neubearbeiteten Materialien wird hier eine eindeutige Einschätzung abgegeben werden können, zumal die im Rechtschreibrat vereinbarten Neufassungen und Änderungen noch den staatlichen Stellen der deutschsprachigen Länder zum Beschluss vorgelegt werden müssen und erst danach für Schulen und Verwaltung verbindlich werden. Dies wird voraussichtlich nicht vor Juni 2024 geschehen.

Kommasetzung wird verbindlicher

Dies gilt auch für eine Rechtschreibregel, die offenbar geändert werden soll, zu der jedoch kein Beispiel genannt wird: Infinitivgruppen – der sogenannte erweiterte Infinitiv – werden demnach in Zukunft verbindlich mit Komma abgetrennt. Bislang musste gemäß § 75 der amtlichen Regeln ein Komma nur unter bestimmten Bedingungen gesetzt werden, etwa wenn die Infinitivgruppe von einem Substantiv oder einem Verweiswort abhing oder bestimmte Wörter wie um, ohne oder anstatt die Infinitivgruppe einleiteten. In Sätzen wie Wir empfehlen ihm nichts zu verraten, Ich bat ihn sofort zu suchen oder auch Ich hoffe dich bald zu sehen und grüße dich musste kein Komma gesetzt werden. Die Setzung von Kommas wurde jedoch oft empfohlen, um den Satz verständlicher zu machen und besser zu gliedern. Hier zeichnen sich folgende künftige Schreibungen ab:

  • Wir empfehlen, ihm nichts zu verraten Wir empfehlen ihm, nichts zu verraten.
  • Ich bat, ihn sofort zu suchen Ich bat ihn, sofort zu suchen bzw. Ich bat ihn sofort, zu suchen (in der letzten Bedeutung, da dort ein einfacher und kein erweiterter Infinitiv vorliegt, vermutlich auch weiterhin ohne Komma erlaubt).
  • Ich hoffe, dich bald zu sehen, und grüße dich.

Wie in den anderen Punkten wird jedoch auch hier abzuwarten sein, wie die Neubearbeitung im Einzelnen ausfallen wird. Zudem darf man gespannt sein, wie die Beschlüsse und Aktualisierungen des Rechtschreibrats in die zu erwartenden Neuauflagen der Rechtschreibwörterbücher eingearbeitet werden.

Cornelius Busch
«Wenn Sie den Fremdwörter-Duden gerade verlegt haben, müssen Sie nicht in Panik geraten – es gibt da immer noch unseren Herrn Busch. Sprachfragen aller Art sind bei ihm höchst willkommen und gut aufgehoben, gerade dann, wenn es etwas ausgefallener wird. Sie möchten Ihren Text nach einer der 300 Varianten der alten Rechtschreibung korrigiert haben? Herr Busch ist schon dran. Kritische Hinterfragung der Herkunft eines Wortes? Herleitung erfolgt prompt, zur Not auch aus dem Indogermanischen. So sind auch seine Blog-Artikel immer sehr lesenswert und voller Informationen, die Sie so nicht erwartet hätten. Viel Spaß beim Lesen und Lernen!»
Cornelius Busch · Senior Language Consultant, Apostroph Germany

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Tamara Weßel
Operative Geschäftsleitung
Tamara Weßel Operative Geschäftsleitung Apostroph Germany

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