Barrierefreiheitsstärkungsgesetz – Name ist nicht Programm

Stellen Sie sich vor, Sie befinden sich auf der Website Ihrer Lieblingsmarke und sehen, dass der Pullover, auf den Sie schon so lange ein Auge geworfen haben, nun im Sale ist. Aber die Schrift auf der Internetseite ist so unleserlich, dass Sie sie kaum entziffern können. Nach nervenaufreibenden Versuchen, die Bestellung aufzugeben, brechen Sie den Kaufvorgang irgendwann enttäuscht ab.
Oder Sie möchten an einem spannenden Onlinekurs teilnehmen, aber die Plattform ist so kompliziert gestaltet, dass die Navigation eine echte Herausforderung darstellt. Das sind Situationen, die für Menschen mit kognitiven Einschränkungen oder für ältere Personen mit wenig Erfahrung im Umgang mit digitalen Medien Realität sind.

Dies zeigt, dass Barrierefreiheit nicht nur an physischen Orten wichtig ist, sondern auch in der digitalen Welt. Nicht nur Gebäude und öffentliche Verkehrsmittel müssen zugänglich gestaltet werden, sondern auch Websites, Apps und andere digitale Plattformen.

Barrierefreiheitsstärkungsgesetz

Aus europäischer Richtlinie wird deutsches Gesetz

Aus diesem Grund haben das Europäische Parlament und der Europäische Rat die EU-Richtlinie 2019/882 (European Accessibility Act, kurz: EAA) über die Barrierefreiheits­anforderungen für Produkte und Dienstleistungen erlassen. Aus ihr resultiert in Deutschland das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG), das im Juni 2022 verabschiedet wurde und ab dem 28. Juni 2025 verbindlich umgesetzt werden muss. Es verfolgt unter anderem das Ziel, dass alle Menschen – unabhängig von ihren körperlichen und sensorischen Fähigkeiten – gleichermaßen am Wirtschaftsleben teilnehmen können.

Private Unternehmen in der Pflicht

Bisher waren nur öffentliche Institutionen wie Behörden dazu verpflichtet, ihre Online-Plattformen barrierefrei zu gestalten. Diese Verantwortung wird nun auf private Unternehmen ausgedehnt, sowohl in Bezug auf ihre Produkte als auch auf ihre Dienstleistungen. Das betrifft nicht nur große Konzerne, sondern auch kleinere Unternehmen. Eine Ausnahme besteht für Kleinstbetriebe, die Dienstleistungen bereitstellen. Darunter fallen Betriebe, die weniger als 10 Personen beschäftigen und deren Umsatz nicht 2 Millionen Euro überschreitet oder deren Bilanzsumme maximal 2 Millionen Euro beträgt. Doch Obacht: Kleine Betriebe, die Produkte herstellen, sind dennoch dazu verpflichtet, Maßnahmen zur Barrierefreiheit zu implementieren.

Produkte, für die die Barrierefreiheitsanforderungen gelten, sind laut IHK München unter anderem:

  • Personal Computer und Betriebssysteme für den allgemeinen Verbrauch
  • Selbstbedienungsterminals wie Geldautomaten und Check-in-Automaten
  • Verbraucherendgeräte für Telekommunikationsdienste wie Mobiltelefone
  • Verbraucherendgeräte mit interaktivem Leistungsumfang wie interaktive Fernseher
  • E-Book-Lesegeräte

Dienstleistungen, für die die Barrierefreiheitsanforderungen gelten, sind unter anderem:

  • Telekommunikationsdienste
  • Personenbeförderungsdienste
  • Bankdienstleistungen
  • E-Book-Software
  • E-Commerce, einschließlich Webshops und Tools zur Buchung von Onlineterminen

Einfach verständlich: klare Texte

Neben einer klaren Strukturierung und einer intuitiven Navigation spielt die Verständlichkeit des Textes sowie der präsentierten Informationen eine entscheidende Rolle. Warum? Weil verständliche Texte sicherstellen, dass alle, vom Analytiker bis zum Alltagshelden, die gleichen Informationen konsumieren können. Fachchinesisch und Techniklatein? Bleiben deshalb lieber draußen. Eine einfache beziehungsweise leichte Sprache  öffnet die Tür zu einem breiten Publikum. Gegebenenfalls macht es auch Sinn, unterschiedliche Websites anzubieten, um allen Informationshungrigen gerecht zu werden.

Erste DIN-Normen für Einfache Sprache: damit aus Theorie Praxis wird

Mit der Einführung der ersten DIN-Normen für Einfache Sprache im März und April 2024 ist ein wichtiger Meilenstein erreicht worden, um theoretische Konzepte in praktische Anwendungen zu überführen. Diese Richtlinien geben insbesondere Autorinnen und Autoren für die Bereiche Recht, Gesundheit, öffentliche Ordnung und Unternehmenskommunikation ein Werkzeug an die Hand für eine leicht verständliche Kommunikation. Ein Team aus Wissenschaft, Verwaltung, Design und Betroffenenorganisationen, koordiniert vom Deutschen Institut für Normung (DIN) und unterstützt vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), hat die Normen entwickelt. Gern berücksichtigen wir sie auch bei Ihren Texten.

Minimalist

Einfach intuitiv: klare Gestaltung

Dennoch – was nützt der schmackhafteste Inhalt, wenn man die Verpackung nicht aufbekommt? Genauso wichtig ist es also, beispielsweise Benutzeroberflächen und Grafiken oder die Navigation leicht erfassbar zu gestalten. Gern unterstützen wir Sie bei jeglichen Sprachtechnologiethemen. Zu einer barrierefreien Form trägt außerdem Folgendes bei:

Strukturierung und klare Navigation:

  • Aussagekräftige Überschriften und Untertitel verdeutlichen die Struktur der Inhalte.
  • Die Navigation sollte konsistent und intuitiv sein.

Textalternativen für Bilder und Grafiken:

  • Durch Beschreibungen können Bilder und Grafiken Menschen mit Sehbeeinträchtigungen über einen Screenreader zugänglich gemacht werden.

Gut lesbare Schriftarten und Farben:

  • Gut lesbare Schriften und ein ausreichender Kontrast zwischen Text und Hintergrund erleichtern das Lesen.

Flexibilität bei Schriftgrößen und Layouts:

  • Die Anpassung von Schriftgrößen und Layouts ermöglicht es, individuellen Bedürfnissen gerecht zu werden.

Untertitel für multimediale Inhalte:

  • Untertitel helfen dabei, Videos auch für Menschen mit Hörbeeinträchtigungen zugänglich zu machen.

Tastaturzugänglichkeit:

  • Alle Funktionen und Interaktionen sollten auch über die Tastatur bedient werden können, also ohne Maus.

Formulare und Eingabefelder:

  • Formularfelder sollten klar gekennzeichnet und mit präzisen Anweisungen versehen sein.

Plattformunabhängige Umsetzung:

  • Es ist wichtig, dass Websites und Anwendungen so entwickelt sind, dass sie mit verschiedenen Technologien, Plattformen und Browsern kompatibel sind.

Barrierefreie Dokumente:

  • Barrierefreie Versionen von Dokumenten wie PDFs und Word-Dokumente lassen sich leicht von einem Screenreader lesen.

Usability-Tests mit verschiedenen Nutzerinnen und Nutzern:

  • Regelmäßige Usability-Tests mit Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten stellen sicher, dass eine Website oder Anwendung für alle zugänglich ist.

Mehr Inklusion, mehr Vielfalt

Das Gesetz zieht außerdem Verbände und Organisationen von Menschen mit Behinderungen mit an den Verhandlungstisch – keine bloße Etikettenshow, sondern eine ernsthafte Einbindung ihrer Perspektiven in die Gestaltung barrierefreier Maßnahmen. Dieser Schritt ist entscheidend, um sicherzustellen, dass die Bedürfnisse dieser Gruppen angemessen berücksichtigt werden. Zugleich markiert er einen Paradigmenwechsel: Barrierefreiheit wird nicht mehr als isoliertes Anliegen betrachtet, sondern als grundlegendes Prinzip, das die Fundamente für Vielfalt und Inklusion legt.

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz brilliert also nicht nur durch das Hervorheben von Problemen, sondern durch die klare Festlegung konkreter Maßnahmen zur Beseitigung von Barrieren in verschiedenen Lebensbereichen. Die eindeutigen Verpflichtungen für öffentliche Stellen, Unternehmen und Bildungseinrichtungen weisen den Weg zu einer Gesellschaft, in der Vielfalt und Inklusion feste Bestandteile sind. Dies sorgt nicht nur für mehr Fairness in der Gesellschaft, sondern dient auch als Antrieb für Innovation und Kreativität, indem es Menschen mit unterschiedlichen Perspektiven die volle Teilnahmeberechtigung gewährt.

Nadja Plaßmann
„Nadja Plaßmann mag Kurzgeschichten und lange Spaziergänge. Sie schlägt gern Wurzeln und wünscht sich manchmal Flügel. Seit 2006 korrigiert und lektoriert sie bei Apostroph Germany fremde Texte und verfasst wunderbare eigene.“
Nadja Plaßmann · Language Consultant, Apostroph Germany

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